Gegnerbetrachtung: Mainz 05 beim HSV

Neu im Blog: die Gegnerbetrachtung. Vor den Auswärtsspielen des 1. FSV Mainz 05 spreche ich künftig mit Journalisten, Podcastern und Bloggern darüber, was die 05er in der Fremde erwartet. Vor dem wichtigen Auswärtsspiel beim Hamburger SV habe ich mit Tanja Hufschmidt gesprochen, die den Verein seit 30 Jahren begleitet.

Hallo Tanja, danke, dass du dir die Zeit für die Gegnerbetrachtung nimmst. Du bloggst unter Raute22 über den HSV. In den letzten Jahren gab’s da spöttisch gesagt nicht viel Positives zu berichten. Woher nimmst du trotzdem die Motivation fürs Schreiben?
Moin Mara, moin Mainz! Ich muss gestehen, es wird immer schwerer, irgendwas zu schreiben, was nicht nur schon gesagt wurde, sondern dass auch noch nicht von so ziemlich jedem. Aber manchmal gibt es Sachen, die müssen einfach raus. Dazu gehört dann zum Beispiel auch der Hinweis auf die nicht aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit von Kühne + Nagel, dem Unternehmen von Klaus-Michael Kühne.

Das Volksparkstadion ...

Das Volksparkstadion …

Einer der letzten Beiträge beschäftigt sich mit deinem „perversen Hobby“, es mit dem HSV zu halten. Erzähl doch mal, wann und wie sich die Raute in dein Herz gebaut hat und wo du die Heim- und Auswärtsspiele siehst. Stadion? Kneipe? Couch?
Ich bin einer der letzten „echten“ Erfolgsfans: Ich kam zum HSV beim bislang letzten Titel, dem DFB-Pokalsieg 1987, den ich live im Stadion erleben durfte. Mein erstes Spiel live vor Ort und dann so eines – wie sollte ich da noch der Raute widerstehen können? 30 Jahre später verfluche ich es so manches Mal, habe aber immer noch eine Stehplatz-Dauerkarte und verfolge auch die meisten Auswärtsspiele zumindest vorm TV auf und ab laufend. Auswärtsfahrten sind seltener geworden, aber ich habe immer noch erstaunlich positive Erinnerungen an meinen Besuch bei Mainz 05. Es war der 34. Spieltag 2014, ihr habt recht locker gewonnen und der HSV musste danach das erste Mal in die Relegation. Was ich aber vor allem in Erinnerung halte, ist, wie uns die Mainzer Fans ermuntert haben und uns viel Erfolg in der Relegation gewünscht haben. Da fiel kein böses Wort, als wir uns nach dem Spiel noch im real mit Proviant für den langen Heimweg eindeckten, keine Häme, nur aufrichtiges Mitgefühl. Das tat sehr gut, deswegen denke ich gerne an die Auswärtsfahrt zurück.

Dass der HSV schwere Zeiten durchlebt, muss man niemandem erklären. Was ich von außen betrachtet unheimlich anstrengend finde, ist das ständige Wechselbad zwischen Hoffen und Abschenken. Manche Veränderungen machen wieder Hoffnung auf eine Verbesserung, der nächste Absturz kommt aber zuverlässig. Wie steckt man das über so lange Zeit weg?
So richtig wegstecken kann ich das nicht, aber es wandelt sich: von Panik zu Angst, von Wut über Verzweiflung bis zur Resignation. Und man glaubt es kaum, aber Letzteres schmerzt am meisten, weil die Resignation so hoffnungslos ist, weil man keinen Kampf mehr in sich hat, weil die Leere sich im Fußballherz ausbreitet.

Kannst du für dich festmachen, wann die schlechte Phase der letzten Jahre tatsächlich ihren Anfang genommen hat? Und gibt es für dich einen konkreten Auslöser oder ist es mehr eine Verkettung der Ereignisse?
Es gibt meiner Meinung nach weder den einen Auslöser noch den einen Hauptschuldigen. Vielmehr ist es in der Führung ebenso wie auf dem Platz: Teilweise sieht es gar nicht so schlecht aus, aber im letzten Augenblick, vorm finalen Pass, werden die falschen Entscheidungen getroffen und so landet der Ball beim Gegner, der Angriff verpufft.

... Wohnzimmer der HSV-Fans ...

… Wohnzimmer der HSV-Fans …

Wie beurteilst du die Rolle von Investor Michael Kühne? Es gibt inzwischen ja nicht wenige Fans, die sagen, all das Geld, das er über die Jahre in den Verein geschossen hat, kann nicht aufwiegen, wie sehr er sich gleichzeitig einmischt und welchen Schaden er damit anrichtet.
Ich vergleiche KlauMi, wie wir ihn (wenig) liebevoll nennen, immer mit einem Drogendealer. Vor vielen Jahren half er erstmals bei Spielertransfers, um sich hinterher zu beschweren, dass die von ihm finanzierten Spieler gar keine Weltstars wären. Dann wollte KlauMi unbedingt Rafael van der Vaart (und dessen damalige Frau) wieder beim HSV sehen, dann ginge es bestimmt aufwärts. Den Transfer finanzierte Kühne per Darlehen, gegen den Willen des Sportchefs Frank Arnesen unter Federführung des Marketing-Vorstands Joachim Hilke übrigens. Den Transfer konnte sich der HSV eigentlich gar nicht leisten, weder finanziell noch sportlich. Und so ging es dann nach der Ausgliederung munter weiter: Der HSV lebte über seine Verhältnisse und begab sich in immer größere Abhängigkeit von KlauMi, aus der man jetzt nicht wieder herauskommt.

Am 18. Februar wurde Bernd Hoffmann zum Präsidenten des e.V. gewählt, der amtierende Jens Meier und sein Team mussten sich knapp geschlagen geben. Der ehemalige HSV-Chef ist damit auch im Aufsichtsrat, dem er mittelfristig vorstehen will. Wie beurteilst du diesen Wechsel an der Spitze?
Ich bin nach jahrelanger negativer Erfahrung ein absoluter Gegner von Rückholaktionen, und nichts anderes ist die Wahl von Bernd Hoffmann. Dieser Glaube an einzelne Heilsbringer, an die „guten, alten Zeiten“ ist in vielen HSVern offensichtlich unglaublich tief drin.

Zu Hoffmanns erster Amtszeit war die Fußball-AG noch nicht ausgegliedert. Vor seiner Wahl sagte er, die Ausgliederung sei kein Grund, Verein und AG quasi voneinander zu entkoppeln. Glaubst du, in ein paar Jahren seht ihr ihn als Vorstandsvorsitzenden? Wie schätzt du seine Ambitionen ein und als wie redlich empfindest du ihn?
Alles, was Hoffmann als „Programm“ ausgegeben hat, wird er als e.V.-Präsident gar nicht erreichen können. Der e.V. hat keinen Einfluss auf das operative Geschäft, auch nicht über den Aufsichtsrat, wo Hoffmann eh nur einer von sechs Räten ist. Er hat auf der Mitgliederversammlung einige Posten genannt, auf die es seiner Meinung nach ankommt: Trainer, Sportchef, U21-Trainer, Nachwuchsleiter, Vorstandsvorsitzender. Nur, Letzteren bestimmt der Aufsichtsrat, und auch dafür braucht Hoffmann erstmal eine Mehrheit im Rat. Der große Retter und Erfolgsbringer kann er also gar nicht sein. Und so kann ich nur hoffen, dass er bei allem Einsatz für die AG nicht den e.V. vergisst.

... und Heimat der berüchtigten Uhr.

… und Heimat der berüchtigten Uhr.

Man kann aus Hoffmanns Aussagen jetzt zumindest kein klares Bekenntnis zu Sportchef Jens Todt und dem Vorsitzenden Heribert Bruchhagen herauslesen. Zu Recht? Wie beurteilst du die Arbeit der beiden?
Schwierig. Bei Heribert Bruchhagen stören mich mittlerweile seine häufig unglücklichen Aussagen, wie zuletzt nach dem Spiel an der Weser der Ausbruch in Richtung Videoschiedsrichter, der so völlig unberechtigt war. Außerdem erzählt er viel, bringt aber sein Handeln nicht unbedingt in Einklang damit.
Der größte Vorwurf, den ich Jens Todt machen kann: Er ist auch nur wieder ein Transfer-Eintüter ohne eigenes Gesamt-Konzept. Verpflichtet wird nach Trainerwünschen und jeder weiß, dass Trainer sich bei uns nicht lange halten. Also findet jeder neue Trainer einen wild zusammengewürfelten Kader vor, der zwar einige gute Einzelspieler aufweist, aber in sich nicht schlüssig zusammengestellt ist und daher auch gar nicht funktionieren kann. Deswegen habe ich lange neidisch nach Mainz geschaut, wo Heidel sein Konzept durchgesetzt hat und als Klopp ging, konnte Andersen nahtlos übernehmen und den Wiederaufstieg schaffen. Das gleiche mit Tuchel, der vielleicht hier und da andere Impulse und Schwerpunkte setzte, aber im Großen und Ganzen sah das (zumindest von außen) sehr gradlinig aus. Und genau so etwas fehlt uns, ein durchdachtes Mannschaftskonstrukt, in dem quasi jeder ersetzbar ist.

Bei Bruchhagen hatte ich das Gefühl, er ist seit Jahren der Erste, der klar auf Distanz zu Kühne geht. Wird er daran scheitern? Wie mächtig schätzt du Kühne ein?
Das ist auch wieder so ein undurchsichtiges Konglomerat. Bruchhagen weiß natürlich, wie abhängig der HSV von Kühne ist, das wird ihm sein Vorstandskollege Frank Wettstein, der verantwortlich ist für die Finanzen, immer wieder sagen. Auf der anderen Seite hatte fast gleichzeitig mit der Verpflichtung Bruchhagens auch im Aufsichtsrat ein Umdenken stattgefunden. Der Kühne-Mann Gernandt wollte nicht mehr den Vorsitz, also hat den vorübergehend Andreas Peters, langjähriger Vorsitzender des Ehrenrats im e.V., übernommen. Und mit Peters an der Spitze hat der Aufsichtsrat vergangenen Sommer erstmals richtig Druck gemacht, endlich die Spielergehälter zu senken.
Hier kam dann wieder der große öffentliche Auftritt von KlauMi. Der hatte durchaus mitbekommen, dass einige Fans schon wieder am Grummeln waren, dass es sich so hinzog mit Neuverpflichtungen, blies dann direkt mal ins selbe Horn und wedelte – wie das so seine Art ist – mit Geldscheinen. Und da zeigte sich dann die totale Abhängigkeit: KlauMi ist befreundet mit dem Spielerberater Volker Struth. Struth berät unter anderem die Spieler Bobby Wood, André Hahn und praktischerweise auch den Trainer Markus Gisdol. Die Legende, von KlauMi höchst persönlich an die Presse verraten, geht dann so: Struth erzählt KlauMi von der Ausstiegsklausel von Bobby Wood (für 15 Millionen hätte er die AG verlassen können), und dass es total viele Interessenten gibt. KlauMi ruft beim HSV an, sie sollen doch bloß den Wood halten, man könnte doch die Ausstiegsklausel abkaufen. Kurze Zeit später hat Wood einen neuen Vertrag, ohne Ausstiegsklausel, mit doppeltem Gehalt. Gleichzeitig findet Markus Gisdol den Spieler André Hahn ganz interessant, das erfährt KlauMi und ruft beim HSV an… Ende vom Lied: Kühne finanziert den Transfer von Hahn (aber auch nur den, günstigere Alternativen hätte er nicht bezahlt!), Gisdol ist acht Monate später nicht mehr im Amt.
Das alles geschah quasi am Aufsichtsrat vorbei, weil die Gelder ja extern akquiriert wurden und der Gehaltsetat wurde am Ende nicht gesenkt, eher im Gegenteil. Erwähnte ich schon das Gleichnis vom Dealer-/Junkie-Verhältnis…?

Nicht (mehr) unumstritten: Heribert Bruchhagen (Foto: Steffen Ewald - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0)

Nicht (mehr) unumstritten: Heribert Bruchhagen (Foto: Steffen Ewald – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0)

Es scheint, egal, wer in den letzten Jahren die Entscheidungen getroffen hat, man lag letztlich immer daneben. Sei es, dass Dietmar Beiersdorfer Alen Halilović holt, wenn Bruno Labbadia, so sagt er, Max Kruse wollte, sei es, mit Bobby Wood zu verlängern und Michael Gregoritsch abzugeben, der nun in Augsburg trifft und trifft. Ist das Pech? Oder hat das System?
Mal davon abgesehen, dass Bruno viel erzählt, wenn der Tag lang ist (angeblich wollte er auch Dennis Aogo zurückholen), glaube ich, dass der grundsätzliche Gedanke hinter der Halilović-Verpflichtung richtiger war als Brunos Idee. Beiersdorfer wollte auf junge, entwicklungsfähige Spieler setzen, die auch noch Transfererlöse bringen (könnten). Labbadia setzt bevorzugt auf erfahrene Spieler, weil er sehr auf Sicherheit (seines eigenen Jobs) bedacht ist.
Die Causa Wood hatten wir gerade, und Gregoritsch passte definitiv nicht ins HSV-„System“. In Augsburg fand er ein für ihn passendes Konzept, eine passende Mannschaftsstruktur vor, die es bei uns nicht gibt. Daher freue ich mich für ihn, weil er bei uns auch nicht glücklich geworden wäre und die Entwicklung hätte nehmen können. Davon ab bin überzeugt, wäre Gregerl geblieben, hätte Fiete Arp bis heute nicht Bundesliga gespielt.

In diese Saison seid ihr gut gestartet. Für einen Moment schien es, als ob Markus Gisdol eine Mannschaft geformt hätte, als ob es die erste verbesserte Serie nach all den Seuchenjahren werden könnte. Was ist dann passiert?
Nicolai Müller hat gejubelt. Dann verletzte sich Filip Kostic und schließlich auch noch Aaron Hunt. Schon mit der Verletzung von Müller ging das Offensivkonzept von Gisdol zu Bruch, mit den beiden anderen setzte dann die Negativspirale ein. Es wurde zwar zwischenzeitlich etwas besser, als Kostic dann zurück war, aber letztlich fehlte da schon das Selbstvertrauen im Team.

Ist diese Jubelverletzung von Nicolai Müller symptomatisch für die Situation, in der ihr steckt? Er wird euch am Ende der Saison fast vollständig gefehlt haben.
Müller war bis zu seiner Verletzung (wie stark er da jetzt in seinem Alter wieder zurückkommen kann, bleibt abzuwarten) die Säule unseres Offensivspiels mit schnellen Gegenstößen und zusammen mit Filip Kostic in aktueller Form hätte er uns sehr geholfen. Aber der HSV hat sich in eine finanzielle und sportliche Position gebracht, in der so ein unglücklicher Ausfall dann auch nicht mehr kompensiert werden kann. Entweder kann man sich Ersatz erst gar nicht leisten oder Spieler, die machbar wären, haben kein Interesse. Insofern ist die Verletzung von Nico wirklich ein Sinnbild für den sportlichen Zustand des HSV.

Von der „letzten Patrone“ spricht man, wenn im Abstiegskampf der Trainer gewechselt wird. Das habt ihr im Januar getan, Gisdol musste gehen. Bernd Hollerbach erklärte, die Defensive stärken zu wollen. Das hat mich sehr verwundert, denn das Problem des HSV ist doch, dass die Tore fehlen. Erste Frage, warst du einverstanden mit der Gisdol-Entlassung?
Ich war lange durchaus überzeugt von der Arbeit von Markus Gisdol. Er hat junge Spieler eingebaut, er hat einige Spieler weitergebracht, indem er sie auf neue Positionen verpflanzt hat und der Wunsch, auf der Trainerposition etwas Konstanz zu bekommen, war sehr groß. Dann aber kam das Heimspiel gegen Köln am zweiten Spieltag der Rückrunde. Die Mannschaft wirkte total leblos und der Trainer hilflos. Ab da hatte ich keine Argumente mehr, warum man am Trainer Gisdol, außer aus Sturheit, festhalten sollte.

Und wie beurteilst du die Arbeit von Bernd Hollerbach? Zwei Punkte aus fünf Spielen ist in eurer Situation natürlich viel zu wenig. Hätte irgendjemand anders aus dem Kader in dieser Situation noch mehr rausholen können, oder ist es aktuell einfach vergebens?
Ich weiß immer noch nicht, was ich von Hollerbach halten soll. Was mich im Moment am meisten erschreckt, ist die fast schon apathische Mannschaft. Einer der Gründe, weshalb der Dino bis dato nicht totzukriegen war, war immer, dass die Mannschaft irgendwann angefangen hat zu kämpfen. Da wurde jeder Zweikampf angenommen und mit aller Konsequenz durchgezogen, kein Ball wurde verloren gegeben, immer nachgesetzt. Das ist nicht mehr der Fall – und ich habe keine Ahnung, warum.

Die Trainingskiebitze haben unter der Woche am Mikrofon des NDR geunkt, am besten hole man direkt wieder einen neuen Trainer. Ist da was dran, oder hältst du es für Blödsinn?
Ich wüsste nicht, wen man jetzt noch holen soll. Und Bruchhagen ist auch nicht gerade dafür bekannt, Trainer zu wechseln, wie andere ihre Unterwäsche. Daher glaube ich, wir halten noch eine Weile an Hollerbach fest. Eventuell entscheidet man dann irgendwann, dass man mit ihm nicht in die neue Saison will und überlässt dann für die letzten paar Spiele dem U21-Trainer das Feld, aber auch die Wahrscheinlichkeit ist eher gering.

Hast du noch Resthoffnung darauf, dass ihr am Ende die Klasse haltet, und sei es über den bekannten Umweg der Relegation?
Eigentlich nicht. Ich muss aber auch gestehen, dass ich nach dem ewigen Abstiegskampf der vergangenen Jahre unendlich müde bin und einfach keinen Kampf mehr in mir hab, so weh das auch tut.

Neuer Verein – der HFC Falke.

Neuer Verein – der HFC Falke.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, davon können die HSV-Fans seit Jahren ein Lied singen. Wie sehr nervt das? Ihr seid für die chaotischen Verhältnisse ja nicht verantwortlich, sondern leidet selbst darunter…
Ich kann es mittlerweile ganz gut ignorieren, wenn Leute versuchen, sich mit HSV-Witzen als besonders toll und modern zu profilieren. Es ist ja auch nichts Originelles mehr dabei, was man nicht schon x-fach gehört oder gelesen hat. In den sozialen Medien neige ich daher mitunter dann zum Entfolgen, wenn es mir zu langweilig und einseitig wird. Wirklich weh tut es nur noch, wenn es aus dem näheren Umfeld kommt und dann mit genau dem einen Ziel, mich zu „ärgern“, weil ich das als Eintreten auf jemanden, der am Boden liegt, empfinde.

Die Geschichte zwischen Verein und Fans war in den letzten Jahren nicht immer unbelastet. Die Chosen Few wurden erst aus dem Stadion verbannt und haben sich dann 2015 im Zuge der Ausgliederung aufgelöst. Ebenfalls zu dieser Zeit gründeten Fans den HFC Falke, weil sie die Entwicklung im Verein nicht mittrugen. Trotzdem schien das Band zwischen Verein und den Menschen der Stadt immer stark. Sind die Hamburger besonders leidensfähig?
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit den CFHH und auch den Deerns und Jungs vom HFC Falke besser dastünden, vielleicht nicht sportlich, aber als Einheit auf den Rängen. Die Leidensfähigkeit bröckelt nämlich ganz gewaltig.

Zuletzt gab’s dann leider doch Krawalle. Die Partie am Samstag gegen Mainz ist nun zum Hochsicherheitsspiel erklärt worden. Verliert der Verein in dieser schwierigen Lage auch noch den Rückhalt der Fans?
Es scheint sehr so, als hätten Teile der Ultra-Szene aufgegeben und beschlossen, den Rest der Saison als Abschiedstournee wahrzunehmen. Hier fehlt durch die starken Umwälzungen, die es in der Szene seit der Ausgliederung gab, auch ein Korrektiv, das früher durch die erfahrenen Ultras der CFHH und die Ultra-nahe Supporter-Führung einfach noch da war. Jetzt ist es so, dass die Ultra-Gruppierungen nicht mehr den Respekt der ganzen Nordtribüne haben, sondern immer wieder Leute ausscheren und meinen, es alles viel besser zu können. Dazu kapseln sich die Ultras auch von den „Normalos“ auf den Stehplätzen gefühlt weiter ab und wollen nur noch ihr Ding durchziehen, scheißegal, ob der Rest mitmacht. Dazu die emotionslos spielende Mannschaft und du hast das jetzige Ergebnis mit relativ leerem Stadion und allgemeiner Müdigkeit.

HFC Falke: Dankbar rückwärts – mutig vorwärts. (Fotos: Tanja Hufschmidt)

HFC Falke: Dankbar rückwärts – mutig vorwärts. (Fotos: Tanja Hufschmidt)

Auch in Mainz ist die Stimmung zwischen Verein und Fans aktuell angespannt. Gräben reißen aber auch unter den verschiedenen Fangruppen auf, die teilweise volle Unterstützung für die Mannschaft fordern, teilweise wiederum den Verein in der Pflicht sehen, dazu kommen die grundsätzlich Unzufriedenen, die alle Köpfe fordern. Kann ein Verein so die Klasse halten?
Ich glaube, mittlerweile sind sehr viele Clubs innerlich so zerrissen und abhängig vom sportlichen Erfolg. Im Misserfolg tritt es dann mehr oder minder deutlich zu Tage. In Köln, in Hamburg, in Mainz. Hannover zehrt noch von der starken Hinrunde, aber auch da denke ich, dass die Unruhe im Umfeld, die sich als Stille im Stadion manifestiert, irgendwann den Fußball auf dem Rasen negativ beeinflussen wird. Und sei es, dass man einen Wunschspieler wegen der ganzen Querelen nicht überzeugen kann, zum Verein zu wechseln.

Das Sportliche tritt in der aktuellen Situation fast komplett in den Hintergrund, auch wenn das bizarr wirken mag. Trotzdem die abschließende Frage, was für ein Spiel erwartest du?
Ganz ehrlich: Es wird lausig kalt und das Spiel wird uns nicht erwärmen, kurzum erwartet uns ein Grottenkick.

Und was passiert in Hamburg am 34. Spieltag, wenn die Uhr wirklich stehenbleibt?
Ich habe keine Ahnung, wie die Ultras reagieren werden. Ich weiß auch nicht, wie viele sich dann vom Verein verabschieden. Ich weiß nur, dass ich auch kommende Saison wieder eine Dauerkarte haben werde und weiter mit HSV sämtliche Höhen und vor allem auch Tiefen durchstehen werde.

Danke für das ausführliche Gespräch.
Danke für die Einladung und auf ein schönes Spiel!

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